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Omar W. Nasim | HIMMELSKONSTRUKTIONEN. GEZEICHNETE NEBEL IN DER VIKTORIANISCHEN WISSENSCHAFT


Mein Projekt beschäftigt sich mit Zeichnungen kosmischer Nebel, die zwischen 1830 und 1865 von englischen Astronomen und Künstlern angefertigt wurden. Diese Zeichnungen waren ein wichtiger Beitrag zur in dieser Zeit entstehenden stellaren Astronomie im Vereinigten Königreich und bildeten die Grundlage für eine intensive Debatte über die sogenannte Nebelhypothese. In diese Debatte waren unterschiedlichste Forscher und Gelehrte, darunter so berühmte wie John Herschel, Lord Rosse, Thomas Robinson, John Pringle Nichol, George Airy, William Whewell und John Stuart Mill verwickelt. Die entscheidenden Argumente der Nebelhypothese verbanden sich mit der Frage der Auflösung und Veränderung der beobachteten Phänomene. Ließen sie sich als eine Ansammlung von Sternen identifizieren, dann schien damit die Hypothese widerlegt. Konnte die Erscheinung hingegen nicht weiter aufgelöst und keine Veränderung bemerkt werden, dann war damit die nebelhafte Natur des Phänomens bestätigt, und somit, nach Auffassung einiger Akteure, die Nebelhypothese gestützt.

Zumindest während des hier untersuchten Zeitraumes beruhte die Entscheidung zwischen den beiden Möglichkeiten hauptsächlich auf den verschiedenen Zeichnungen nach den beobachteten Erscheinungen, die mit Hilfe einiger, der damals größten, neu entwickelten Teleskope gewonnen worden waren. Welche Art von Erscheinungen brachten die Zeichnungen hervor? Welche Art von Schlußfolgerungen ließen sie zu? Waren die Zeichnungen durch die unterschiedlichen Deduktions- und Interpretationskulturen geprägt? Gab es spezifische Konventionen der zeichnerischen Speicherung von Information und der Unterscheidung zwischen konzeptionellen und nicht-konzeptionellen Inhalt? Im Untersuchungszeitraum wurden Zeichnungen für eine Vielzahl von Zwecken eingesetzt: um Veränderungen der Nebel festzustellen und Auflösungserscheinungen (oder ihr Fehlen) aufzuzeichnen, um die ›Form‹ des stellaren Phänomens zu untersuchen, um seine Klassifizierung, Identifizierung und Katalogisierung zu ermöglichen, aber auch als Kalibrierungshilfe, um die an verschiedenen Teleskopen gemachten Beobachtungen untereinander zu vergleichen, und schließlich zur Bestätigung und Weiterentwicklung der Hypothese über die Grundlagen dieser Erscheinungen.

Im Kontext der Debatte um die Nebelhypothese und der neuen Wissenschaft der Stellarastronomie eröffnen die Zeichnungen der Nebel einen bedeutsamen epistemischen Raum. Die Zeichnungen entstanden während der Beobachtung durch das Teleskop als einfache Skizzen in den Nachtbüchern der Astronomen. In den meisten Fällen wurden jedoch Künstler angestellt, die im Umgang mit dem Bleistift geübt waren, um die Objekte, die der Astronom sah, zu zeichnen und später druckgraphisch zu fixieren. An die Zeichnungen knüpften sich spezifische Techniken, die sowohl durch wissenschaftliche Notwendigkeit wie künstlerische Konventionen geprägt waren. Welche epistemologische Rolle spielten diese Techniken für den astronomischen Gebrauch der Zeichnungen als Repräsentationen, als Beweisstücke, als Objekte der Mutmaßung und Reflexion?


[BILDNACHWEIS]
The Parsonstown picture of a region of the Orion nebula. Philosophical Transactions, The Royal Society of London, 1868