Die Herstellung, Verbreitung und Auswertung gedruckter Texte stellt in unserer Kultur nach wie vor einen zentralen Aspekte von Wissenschaft dar. Ebenso wie ein Großteil unseres szientifischen Gedächtnisses trotz veränderter Drucktechniken noch immer in Form von Druckschriften angelegt, verwaltet, umgearbeitet und weitergegeben wird.
Vor diesem Hintergrund widmet sich das Projekt der Aufgabe, Layout-Strategien als eine in der Wissenschafts- und Mediengeschichte vernachlässigte Dimension wissenschaftlicher Produktivität zu untersuchen. Das heißt: Die graphische Realität von Drucksachen soll auf ihre epistemischen Wirkungen hin befragt werden. Ausgangsthese ist, daß auch die Äußerlichkeiten von Monographien, Periodika, Handbüchern usw. die Semantisierungsprozesse während der Rezeption steuern. Schriftbilder funktionieren in dieser Weise als Vorschriften; ihre dinglich-figurale Existenz beeinflußt, was durch Lektüre überhaupt verstanden werden kann. Oder: Neben den Gesten und Geräten der Schriftproduktion sowie den Institutionen der Schriftvermittlung treten schon Letterformen als Wissensformate auf.
Konkret erforscht das Projekt die Produkte des Internationalen Psychoanalytischen Verlages: 1919 in Wien von einer Gruppe um Sigmund Freud gegründet, 1938 von den Schergen der Gestapo zerschlagen. Der Verlag publizierte sämtliche zeitgenössischen Titel der psychoanalytischen Bewegung; darunter alle Erstausgaben Freuds seit 1920 (von »Jenseits des Lustprinzips« über »Totem und Tabu« bis zur 2. Auflage der »Selbstdarstellung«), die ersten psychoanalytischen Wörterbücher (1937 von Richard Sterba), als Jahrbuch den sog. »Almanach«, die vier maßgeblichen Zeitschriften (»Imago«, »Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse«, »Zeitschrift für Psychoanalytische Pädagogik« bzw. »Die Psychoanalytische Bewegung«) sowie, in 12 luxuriösen Bänden, die erste Gesamtausgabe der Freud’schen Schriften.
Bisher ist die Verlagsgeschichte nur lückenhaft und wenn, dann primär unter hagiographischen, wissenssoziologischen oder institutionellen Perspektiven behandelt worden. Entsprechend standen Personalquerelen (Konflikte zwischen den Gesellschaftern oder Angestellten), juristische Fragen (Organisations- und Urheberrecht) sowie ökonomische Bilanzen (Verkaufszahlen, Gewinn- und Verlustrechnungen) im Vordergrund. Keine Berücksichtigung fand die Erforschung der gestalterischen Politik des Verlages, der ja nicht einfach als dienstbares Instrument für psychoanalytische Autoren angesehen werden darf (samt Redaktionsarbeit, Werbung, Distribution etc.), sondern der vor allem ein Konstituierungsmoment im Werden der psychoanalytischen Wissenschaft selber gewesen ist. Der Verlag jedenfalls soll hier als Agentur der Differenz firmieren: Er verwandelt interne Papiere in öffentliche Werke, Meinungen in Thesen, Wiener Idiosynkrasien in international kursierende Theoreme. Durch seine Produktivität konnte aus den Einfällen, Gesprächen und Behauptungen, aber auch den Korrespondenzen und Protokollen der ersten Analytikergeneration Elemente der wissenschaftlichen Diskussion werden. Anknüpfend an Michel Serres ließe sich sagen, daß der Verlag, indem er die Schwelle des Imprimatur errichtet und zugleich überschreitbar macht, gegen die Flüchtigkeit eines Gemurmels die (relative) Festigkeit von Dokumenten ermöglicht.
So unternimmt die Psychoanalyse den Sprung aus den Kulissen heraus auf die Bühne der Geschichte. Bei Freud heißt das, er hoffe mit dem Verlag als »wichtigstem Organ der Bewegung« die »offizielle Aichung [...] der psychoanalytischen Literatur« zu erreichen. – Ein Bekenntnis, das sicher noch auf die inhaltlichen Disziplinierungen der Abweichler oder ›wilden Analytiker‹ verweist, das darüber hinaus aber auch, wie Ernest Jones sekundiert, die Formierung der Psychoanalyse als »Marke« (eine Art Theorie-Label) im Feld der Wissenschaften bestätigt.
Träger dieser Marke sind die Verlagsprodukte selber, deren Erscheinungsweisen daher der Gegenstand druckgraphischer Strategien gewesen sind: Neben dem Firmennamen (dessen Attribut ›International‹ auch juristisch gegen Einwände der Wiener Handelskammer verteidigt wurde) gehörten dazu das Verlagslogo (die Ödipus-Vignette) sowie die Verwendung der Kennfarbe Gelb für die Einbandgestaltung und die Einführung der Crochin- bzw. Tiemann-Antiqua für Titel und Werksatz der Bücher bzw. Zeitschriften. Derart greift der Verlag – erstmalig in den Wissenschaften – auf Darstellungsmittel der Industriekultur zurück, die dort kurz nach 1900 entwickelt wurden und bis heute als ›Corporate Design‹ bezeichnet werden.
Durch Beobachtungen an den Erzeugnissen des Internationalen Psychoanalytischen Verlages versucht das Projekt, diese Koppelung von Druckschrift- und Wissenschaftsdesign exemplarisch zu erforschen. Können Bücher als die Körper einer Theorie aufgefaßt werden, dann geht es hier um eine Physioanalyse der entstehenden Psychoanalyse.
[BILDNACHWEIS]
Geschäftsbrief des Verlags an die Buchbinderei Hermann Scheibe, 31. Oktober 1919, Sammlung Philippe Helaers.