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Materialprobe 2

Symptomatik des Zeichnens und Schreibens

Kunsthistorisches Institut in Florenz (MPI), Sala conferenza, 15. und 16. Oktober 2007

Eine graphische Aufzeichnung als Symptom einer physischen oder psychischen Befindlichkeit zu lesen, setzt nicht nur eine Umstrukturierung der Erwartung und der Lektürepraxis voraus, sie ist an konkrete Veränderungen der Schreib- und Zeichenszene gebunden, die wir im Rahmen der zweiten ›Materialprobe‹ analysieren möchten. Dabei wird der Blick auf die Besonderheit von Aufschreibepraktiken zu richten sein, die nicht nur eine Aufzeichnung bestimmter Phänomene beabsichtigen (darin sind sie herkömmlichen Zeichen- und Schreibverfahren ja verwandt), sondern gleichzeitig auf eine Analyse der Repräsentation selbst abzielen. Damit rücken genau jene Eigenschaften in den Mittelpunkt des Interesses, die im Rahmen herkömmlicher wissenschaftlicher Datensicherung zumeist eingeschränkt und kontrolliert, spätestens aber im Vorgang der Publikation und der Übersetzung in den gedruckten Text oder die druckgraphisch reproduzierte Zeichnung ausgesondert werden, weil sie der Aufzeichnung des eigentlichen Phänomens akzidentiell, eben subjektiv zukamen.

Sicherlich: nicht jedem graphischen Unfall wird die Deutungshoheit eines Symptoms zugestanden. Und nur mit einigem Aufwand gelingt die Transformation der auffällig gewordenen Inskriptionen in eine Spur, ein lesbares Zeichen von Charakter, Temperament, Autorschaft, Entwicklung oder was auch immer. Die Techniken, die im Laufe der letzten 200 Jahre dazu ausgebildet wurden, um eine Unterscheidung der zufälligen von den motivierten Zeichen vornehmen zu können, kommen zumeist erst dann ins Spiel, wenn der eigentliche Schreib-/Zeichenakt bereits stattgefunden hat. Sie nehmen die Gesten des Zeichnens und Schreibens von der »Warte der Nachträglichkeit in den Blick« (Stephan Kammer). Wie aber wurden die Relikte der vermeintlichen Selbstaufschreibung im wissenschaftlichen Forschungszusammenhang und im künstlerischen Produktionsprozess gewonnen und prozessiert? Wie wurden sie lesbar gemacht? Unter welchen institutionellen, medialen und materiellen Bedingungen entstanden Linien, Kritzeleien und Schriftzüge, die sich dem Forscher oder dem Kunstbetrachter nicht als Beschreibungen der Welt, sondern als verworrene Zeichen der seelischen/physischen Funktionstüchtigkeit, Disposition oder Pathologie ihrer Urheber zu denken gaben? Und schließlich: welche Vorstellungen und Begrifflichkeiten von ›Spur‹, ›Symptom‹ und ›Ausdruck‹ kamen dabei zum Tragen?

Mit Präsentationen von Peter Geimer, Stephan Kammer, Markus Klammer, Stefan Neuner, Armin Schäfer, Jutta Voorhoeve und Barbara Wittmann.

Kontakt: Barbara Wittmann, wittmann|at|mpiwg-berlin.mpg.de

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